Begegnungen

Vorletztes Wochenende bin ich mal wieder mit der Bahn in die Heimat gefahren. Und schelmisch, wie die Bahn eben manchmal ist, fiel der Anschlusszug von Elsterwerda Richtung Berlin ohne große Erklärung aus. Was für mich und einige andere Reisende aufgrund der mangelnden Informationen hauptsächlich nervig war, ist für Menschen, die kein Deutsch verstehen, absolut verwirrend. Und so lernte ich Hussam kennen: 28 Jahre, sympathisch, ruhig, syrischer Flüchtling – und konnte mal einen direkten Einblick in die ganze Flüchtlingsproblematik bekommen.

Jeder Flüchtling ist auch ein Schicksal

Hussam möchte Musik studieren. In Syrien hatte er schon so ein Studium angefangen, da er leidenschaftlich gern Klavier spielt. Bis er eingezogen werden sollte, um in Assads Armee zu kämpfen. Daraufhin ist er geflüchtet.

Einige Monate schlug er sich in Dubai, danach drei Jahre in der Türkei als Straßenmusikant durch. Studieren durfte er dort nicht, wohl weil sein Türkisch nicht gut genug war. Danach dann weiter nach Deutschland, auch ein paar Tage in Heidenau waren dabei. Inzwischen hat er eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis von drei Monaten, und hofft, bald eine Drei-Jahres-Erlaubnis zu bekommen, um dann studieren zu können.

Hussams Auftreten und Erscheinung stehen in krassem Gegensatz zu dem Bild, das Pegida, AfD und Co. vom durchschnittlichen Flüchtling zeichnen. Gebildet, freundlich, ruhig – ein Mensch, wie man ihn gern als Kollegen hätte. Ja, er wäre Muslim, sagte er auf Nachfrage, aber allzu streng nähme er das alles nicht. Genau wie meine Eltern früher, Weihnachtschristen. Fleisch isst er auch, aber betäubungsloses Schächten findet er sinnlos grausam. Es ginge problemlos auch mit elektrischer Betäubung. Das sehen meine Eltern und viele Verwandte auch so.

Das Bewegendste in unserem Gespräch war, dass Hussam erzählt hat, dass er sich an seinen Status als Flüchtling noch immer nicht so richtig gewöhnt hat. Syrien war seit Jahrzehnten das Ziel vieler Flüchtlinge – aus der Türkei, dem Irak, Palästina und anderen Gegenden. Heute, nach fast fünf Jahren Krieg, sind Millionen Syrer weltweit verstreut. Hussam wurde von jemandem, der sich fragen muss: „Wie geht mein Land mit Flüchtlingen um?” zu jemandem, der selbst in einem fremden Land Hilfe sucht – in verdammt kurzer Zeit.

Das ist wahrscheinlich das, was ich aus dieser Begegnung am deutlichsten mitnehme. Dass ich mal einen Menschen hinter all den Nachrichten und Medienbildern kennengelernt habe, und direkt ein Stück seiner Geschichte gehört habe. Das ist noch mal eine ganz andere Herangehensweise an die Krise hier als nur Diskussionen über Menschenrechte oder Zahlen und Kosten.

Bei uns kann sowas nicht passieren…

Und dann überlege ich mir, dass noch immer Menschen leben, die den Krieg in Deutschland miterlebt haben. Oder dass vor gar nicht langer Zeit Panzer an der deutsch-deutschen Grenze standen. Dass es aktuell einen gewaltigen Rechtsruck in Europa gibt, und wie rasant der Hass und die Gewaltbereitschaft gestiegen sind.

Wenn uns das Beispiel Syrien eins zeigen kann, dann wie unsicher alles ist. All der Luxus und die Sicherheit, die wir im Moment als allzu selbstverständlich hinnehmen, können innerhalb weniger Jahre verloren gehen. Syrien hatte all das, was wir im Moment auch haben. Breiter Mittelstand, Autos, Smartphones – überall Luxus. Bis zur Krise. Und da sitzen die Leute hier fettmästig vor ihren Fernsehern in überheizten Wohnzimmern, stopfen billigen Mist ausm Lidl in sich rein, und applaudieren, wenn die nächste Unterkunft angezündet wird. Und bilden sich ein, dass wir es hier so kuschelig haben, weil sie so fleißig und toll sind.

Warum sind die Leute so verdammt sicher, dass es nicht irgendwann auch bei uns krachen könnte? Warum wollen so wenige den Zusammenhang zwischen vollen Primark-Tüten und Erstaufnahmeeinrichtungen in der Nachbarschaft sehen?

Und ich frage mich: Wie schnell könnte ich mich an den Flüchtlingsstatus gewöhnen? Wie würde ich reagieren, wenn ich in einem Zelt leben müsste, auf das Böller geworfen werden, und vor dem Leute demonstrieren?

Und wie kaputt muss man sein, um Menschen wie Bachmann und Höcke hinterherzulaufen, und sich selbst nicht als Rassisten wahrzunehmen? Oder als Arschloch? Oder beides?

 

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