Er zieht ihr ab das Mausefell, Mi-Ma-Mausefell, er zieht ihr ab das Fell…

Bei uns zuhause wird, seit der Wicht da ist, viel gesungen. Von bekannten Kinderliedern über »Don’t worry, be happy« bis hin zu »Bodo mit dem Bagger« oder dem historischen »Der Papa wird’s schon richten« ist alles dabei. Ich habe mir früher nicht viele Gedanken über sowas gemacht, war halt auch nicht so mein üblicher Musikgeschmack, aber wenn man es dem eigenen Kind vorsingt… dann kuckt man sich die einzelnen Texte eben doch mal genauer an. Und siehe da: Es ist natürlich viel (mehr oder weniger lustiger) Quatsch dabei.

Wenn man sich mal ein paar alte Lieder ankuckt, verwundert es nicht, dass sie oft den überkommenen, patriarchalen Dunst verströmen, der damals leider völlig normal war:

Der Opa, der ist grad verliebt, die Braut ist zwanzig Jahr
Die Tochter, die kriegt bald ein Kind, und weiß nicht, wer es war
Der Sohn, der bringt sein Zeugnis heim, die beste Note: vier
Der Mama brennt das Essen an, und sie ratscht an der Tür
Halb so schlimm, wir kriegen das schon hin…

Gnn. Dieser Text ist an mehreren Stellen arg bedenklich. Schon allein, dass das gute Stück Papa alles wieder hinbiegt, ist fragwürdig. Aber erst, wenn man mal hinschaut, was die jeweiligen Familienmitglieder so an Klischees bedienen müssen, offenbart sich ein ziemlich hässliches Weltbild.

Auch manche Kinderlieder transportieren auf eine oberflächlich niedliche Art ungerechte Hierarchien:

Wenn Mutti früh zur Arbeit geht,
Dann bleibe ich zu Haus.
Ich binde eine Schürze um
Und feg‘ die Stube aus.

Das Essen kochen kann ich nicht,
Dafür bin ich zu klein.
Doch Staub hab ich schon oft gewischt.
Wie wird sich Mutti freu’n!

Ein kleines Mädchen singt dieses Lied, und es übernimmt Hausarbeiten, die selbstverständlich Aufgabe der Mutter sind. Schön, dann muss Muttern nicht nach der Arbeit noch zuhause putzen. Aber warum wird sich nur die Mutter freuen, dass das Kind im Haushalt geholfen hat? Wo ist der Vater? Warum konnte das nicht ein kleiner Junge singen?

Vom Mittelalter bis heute…

Noch ein weiteres famoses Beispiel gefällig? Wie wäre es mit dem alten Lied Auf einem Baum ein Kuckuck saß? Da sitzt ein Kuckuck, ein Jäger kömmt daher, und knallt ihn ab. Ok, ok, laut Wikipedia könnte der Kuckuck für Freiheitsgedanken stehen, und der Jäger einen absolutistischen Herrscher symbolisieren, aber die Freiheitsgedanken kommen immer wieder. Das versöhnt mich fast schon wieder mit dem Lied, aber für Kinder ist es trotzdem alles andere als geeignet. Beim Kind bleibt doch wahrscheinlich nur hängen: Jäger – Kuckuck abknallen – Kuckuck ist nach einem Jahr wieder da. Dann können wir ja lustig weiterballern.

Oder wie wäre es mit einem Ausflug in die Welt der Märchen? Ist es wirklich sinnvoll, seinem Kind „Kulturgut” nahezubringen, in dem Hexen verbrannt, Wölfen die Bäuche aufgeschnitten, Zehen abgehackt, und generell oft sehr gewaltsame Lösungen die „Moral” bilden? Mit Pech übergießen bei Faulheit? Daumen abschneiden beim Daumennuckeln? Wer drei unmögliche Aufgaben löst kriegt die Königstochter geschenkt – Hauptattribute: schön, brav, Jungfrau.

Na guuuut, bis hier könnte man argumentieren: Das ist alles schon eine ganze Weile her und reichlich überholt.

Ist denn dann heute alles prima? Ach! Ach… Schaut euch nur mal das bekannte Kinderlied von den Sonnenkäfern an:

Erst kommt der Sonnenkäferpapa, dann kommt die Sonnenkäfermama, und hinterdrein ganz klimperklein, die Sonnenkäferkinderlein…

Das macht doch die Rangfolge ziemlich deutlich klar, oder? Oder wie wäre es mit dem beliebten Kinderspiel „Vater-Mutter-Kind“?

WTF des Monats

Und nachdem wir so viel patriarchalen Schwung aufgenommen haben, kommen wir zum eigentlichen Auslöser dieses Beitrags, zu meinem „WTF des Monats“, sozusagen.

Da sitzt die 5-jährige Nichte hinten im Auto, und piepst ganz niedlich ein Kinderlied. Ein Schneider fing ’ne Maus, ein Schneider fing ’ne Maus… Und was macht er mit der Maus? Ganz klar: Er zieht ihr das Fell ab! Was denn sonst? Dann näht er sich ein Geldsäckchen draus, kauft sich einen Ziegenbock, und fällt am Schluss in den Dreck. Was zur Hölle? Wer denkt sich solche Lieder aus? Für ein Kind? Aber das beste ist das entsprechende Youtube-Video dazu:

Damit das Kind bloß nicht auf die Idee kommt, dass die Maus elendig umkommt, wenn man ihr das Fell abzieht, wird sie im Video einfach nackig dargestellt, mit einem lustigen kleinen Schal drum. Und zum Schluss holt sie sich ihr Fellchen einfach wieder. Ha-ha!

Was lernt so ein zartes Wesen nebenbei aus solchen Liedern? Dass es ganz normal ist, Mäusen das Fell abzuziehen? Ist ja nur ’ne Maus? Dass es dem Tier nicht weh tut?

Ich denke, unser Kind wächst durchaus mit sehr modernen, gleichberechtigten Ideen auf. Ich glaube aber auch, dass viele „Kleinigkeiten“, die als normal und harmlos gelten, in der Summe doch ein Kind und seine Weltsicht mehr oder weniger beeinflussen können.

Nicht meckern, machen!

Zum Glück sind ja Liedtexte nicht in Stein gemeißelt. Also wird, was uns nicht passt, passend gemacht – sprich: umgedichtet. Und so kam bei uns dieses Lied raus:

  • Ein Schneider fing ’ne Maus…
  • Was macht er mit der Maus?
  • Er streichelt ihr das Fell…
  • Dann schenkt er ihr ’nen Keks, …
  • Was macht sie mit dem Keks?
  • Sie schleppt ihn in ihr Loch, …
  • Dort knabbert sie den Keks, …

So. Viel besser, oder?  😀

Die Sonnenkäferreihenfolge lässt sich auch problemlos ändern. Da kommt einfach oft zuerst die Sonnenkäfermama gekrabbelt. Und damit nicht immer der Papa alles wieder hinbiegt, ist es bei uns oft auch die Mama, die es schon richten wird, oder die Oma, oder das Kind. Der Kuckuck wird nicht erschossen, sondern der böse Jäger scheucht ihn einfach nur fort, und als ein Jahr vergangen war, da war der Kuckuck wieder da.

Sprache formt unser Denken. Das ist ein interessantes, sehr sehr weites Feld, in das die Diskussionen über N-Wort, Pipi Langstrumpf, und gewaltfreie Kommunikation fallen.

Aber es bewegt sich was. Die Gesellschaft diskutiert – und das find ich gut.

 

 

6 Antworten zu “Er zieht ihr ab das Mausefell, Mi-Ma-Mausefell, er zieht ihr ab das Fell…”

  1. Tino Schuster

    Das ist ein wertvoller Beitrag. Statt die Defizite der Vergangenheit ins Gegenteil zu verkehren, wird hier endlich mal ausgewogen differenziert umgedichtet. Statt nur zu meckern und Aufregung entsteht hier eine sinnvolle Anleitung zum Umgang mit dem alten in Teilen überkommenen Kulturgut. Sprache formt das Denken. Und ich denke, es war gut, wie dies hier zur Sprache kam! LG T aus B an der S

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    • Fup

      Wow, da gibt es nach 1½ Jahren endlich mal wieder einen Beitrag, und dann kassiere ich direkt ein Lob dafür. 😀 Danke dir.

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      • Fjonka

        Nicht umsonst. Mir gefällt er auch, Dein Beitrag. Obwohl ich Eine der Alten bin, die auch(!) dafür plädieren, den Kindern klarzumachen: guckmal, so war das früher. Heute ist das zum Glück anders! Dann kann man auch alte Bücher vorlesen, ohne daß Einer bei den patriarchalen Rollenverteilungen gleich schlecht wird. Oder alte Kinderlieder singen.

        Danke für den Link! Habe ihn gleich einer Freundin weitergeleitet, mit der ich (bezogen auf Gendersprache) letztens darüber diskutiert habe, wie und ob Sprache die Wahrnehmung beeinflusst (sie ist Werkzeugmacher. Nicht -in …)

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        • Fup

          Noch ein Wow! Auch Fjonka hat meinen Blog noch abonniert. 🙂 Das freut mich sehr – ich lese bei dir auch immer noch mit, auch wenn ich nicht kommentiere. Danke für das Lob.

          Klar, neben der Anpassung von Texten an moderne Zeiten gibt es auch noch mehr als genug, wo ich dem Wicht zeigen kann/erklären muss, wie Dinge früher waren. Ich kann ja nun nicht jede Geschichte vorher prüfen. 😀 Aber ich sag dem Kind auch, wenn ich eine Geschichte nicht so schön fand, und warum.

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  2. Marie

    Danke für den tollen Beitrag! Du schreibst mir aus der Seele. 🙂

    Das Mäuselied haben wir schon lang umgedichtet, da es auch mir sehr martialisch anmutete und ich mich beim Vorsingen direkt fragen musste, was das Ganze eigentlich soll… Das Dilemma mit dem Kuckuck ist mir ebenfalls vertraut. Aktuell ist es „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“, wo ich immer erklären muss, warum der Jäger den Fuchs erschießt. Da frage ich mich oft, wie wir das als Kinder eigentlich wahrgenommen haben. Diskutiert hat das mit uns niemand.

    Und ja, die Welt der Märchen ist ein so großes Feld. Von Hexenverbrennungen bis Wölfen die Bäuche aufschneiden, um sie dann z.B. mit Steinen darin im Brunnen zu versenken – warum schüren wir bei den Kleinsten damit Ängste, die unbegründet sind? Ja, die Volksmärchen sollten in ihrem historischen Kontext gesehen werden und sicher ist da noch ein Subtext. Dieser aber ist Kleinkindern nicht leicht zu vermitteln. So sitze ich also da mit dem Märchenbuch und erkläre meiner Tochter, die jetzt eine mega Angst vor Wölfen hat, dass ein Wolf so niemals handeln würde und es falsch ist, Gewalt mit Gewalt anheim zu kommen…

    Und ja, auch ich bin dazu übergegangen, meine Meinung zu Geschichten mitzuteilen und zu erklären, warum.

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    • Fup

      Ja genau! Bis dich färbt die rote Tinte… – so ein Mist. Warum sollte ich das meinem Wicht vorsingen, wenn ich dann nicht erklären möchte, dass damit Blut gemeint ist, das aus dem Fuchskörper rausläuft? Und es ist ja nicht so, dass es nicht endlos viele Lieder und Geschichten gibt, die man bedenkenlos anbieten kann. 🙂

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