Die taz hat vor kurzem einen Artikel veröffentlicht: Gelatine als Nahrungs-TÜV. Die Idee: Einen intelligenten Nachfolger zum Mindesthaltbarkeitsdatum schaffen. Auf einen ersten, oberflächlichen Blick ist der Ansatz nicht dumm.
Ein intelligenter Aufkleber, der mit dem Produkt altert.
Die Deutschen schmeißen zu viel Essen weg. Schätzungen gehen von 25% aller gekauften Lebensmittel aus. Da sind Anstrengungen, genau das zu vermindern, eigentlich zu begrüßen.
Eine Londoner Designerin hat sich deswegen einen tollen neuen Aufkleber einfallen lassen. Gefüllt mit Gelatine, zeigt der Aufkleber beim Drüberstreichen, ob das Lebensmittel verdorben ist. Die Gelatine altert dabei mit dem Produkt – einen für Joghurt und Fleisch desaströsen Nachmittag im zu heißen Auto bildet die Idee genauso ab, wie eine vorbildliche Kühlkette. Sobald die Gelatine im Aufkleber verdorben ist, fühlt man die Bubbel im Aufkleber, und kann relativ sicher sein, dass auch das Produkt selbst hinüber ist. Damit ist so ein schlauer Aufkleber einem normalen Mindesthaltbarkeitsdatum natürlich haushoch überlegen.
Symptombehandlung, statt Ursachen bekämpfen
Und trotzdem: Die Lösung setzt, wie so oft heutzutage, am völlig falschen Ende an. Die unglaubliche Menge an für den Müll produzierten Lebensmitteln ist nur ein Symptom. Die Ursache sind zahlreiche Fehlentwicklungen in unserer Gesellschaft. Es wird viel zu viel unter gewaltigen Kosten für die Umwelt produziert, in Plastik verpackt, um die Welt gefahren und – weggeworfen. Und das soll durch einen zusätzlichen Produktionsschritt verbessert werden?
Wir produzieren zu viel, also produzieren wir noch mehr, um nicht mehr so viel produzieren zu müssen?
Ganz zu schweigen davon, dass Gelatine verwendet werden soll. Noch mehr Massentierhaltung, der man, sollten solche Aufkleber tatsächlich mal in großem Stil eingeführt werden, nicht mehr entkommen kann.
Irgendwie erinnert mich das alles an die Technikgläubigkeit zu Zeiten der Titanic. Jedes Problem lässt sich mit Technik und Fortschritt lösen. Irgendwer wird schon was erfinden. Hauptsache, wir müssen nichts ändern.
Die Menschen haben völlig den Umgang mit Lebensmitteln verlernt. Wer nicht mehr selbst kocht, glaubt gar nicht mehr, wieviel Mühe in einem einfachen Mittagessen steckt. Und eine angeschimmelte Zwiebel für wenige Cent schmeißt sich viel leichter weg, als wenn ich sie im eigenen Garten mühsam großgezogen habe, inklusive gießen, Unkraut zupfen, und Schneckenkrieg.
Kurzer Umweg übers Nähkästchen: Die Freundin hatte mal eine Mitbewohnerin, die hat sogar eine volle Packung Zucker in den Restmüll geworfen. Weil er „uralt” war.
Nachhaltige Lösungen statt Mindesthaltbarkeitsdatum
Die Lösung lautet ganz simpel: Herstellungs– statt Mindesthaltbarkeitsdatum. Dann kann ich auf die Packung Erbsen kucken und weiß: „Aha, vor einer Woche habt ihr euch noch in euren Schoten aneinandergekuschelt, und jetzt hab ich euch schon in der Hand.” Bei der Packung Spaghetti wiederum denk ich mir: „Oha, seit 2013 liegen die hier im Regal? Egal, das Zeug ist ja trocken, was soll da schlecht werden?”
Ein Herstellungsdatum auf der Verpackung in Verbindung mit Geruch, Aussehen, und wie sich das Produkt anfühlt, sollte für die meisten Produkte ausreichen. Etwas Erfahrung und eine Portion gesunden Menschenverstand – mehr braucht es nicht.
Joghurt riecht säuerlich, wenn er schlecht wird. Zwiebeln z. B. sind oft noch sehr gut verwendbar, selbst wenn sie schon große, matschige Stellen haben, da sich der Verfall nur auf die betroffenen Schichten auswirkt. Macht für die Zwiebel auch wirklich Sinn, da die Pflanze ja im Frühjahr wieder wachsen will, auch wenn mal ein Maulwurf aus Versehen das Überdauerungsorgan zerkratzt hat. Bei Käse braucht es ein wenig Erfahrung: Es gibt Sorten, da breitet sich der Edelschimmel munter weiter aus. Bei der Unterscheidung hilft der freundliche Käsefachbedienungsmensch.
Ok, Ausnahmen gibts z. B. bei H-Milch. Die verdirbt, sobald sie geöffnet ist, genauso schnell wie normale Milch, man merkt es nur nicht. Höchstens an einem ganz leichten, muffigen Geschmack. Kenne ich (leider) noch von früher. Das Zeug verschimmelt quasi innerlich. Aber wer freiwillig H-Milch säuft, ist eh nicht mehr zu retten. H-Milch ist also kein Argument gegen ein Herstellungsdatum. 🙂
Konventionelle Lebensmittel sind nur deswegen so billig, weil Umweltschäden und Ausbeutung der Arbeiter nicht mit einberechnet werden. Sobald sich das ändert, und unser Essen endlich kostet, was es wirklich wert ist, reduziert sich der Müllberg von ganz alleine.
Und wer nicht mehr auf die Politik warten kann oder möchte, fängt schon mal bei sich selbst an. Mit Nachdenken und seinen-Sinnen-vertrauen, statt aufs Haltbarkeitsdatum zu schielen.
Diesen Beitrag verlinke ich wieder zur Blogparade einfach.nachhaltig.besser.leben [#EiNaB] beim verrückten Huhn.
Ich glaube allerdings nicht, daß das Herstellungsdatum tatsächlich eine gute Alternative wäre- denn dafür musst Du als Konsument denken können UND wollen. Ich arbeite schon lange im Verkauf, bin, was gesunden Menschenverstand bei Konsumenten angeht, eher desillusioniert und gehe daher davon aus, daß Spaghetti mit Herstellungsdatum 2013 zu echten Ladenhütern würden – iiiiiih, die sind ja schon 2 Jahre alt!!!!
Hmm, mag sein, dass ich da ein bissl verwöhnt bin von unserem Bioladen. Aber als Optimist gehe ich grundsätzlich davon aus, dass die Menschheit noch lernfähig ist. 🙂
Ja, ich fürchte, das ist viel zu optimistisch gedacht. Wer weiß denn heute noch, wie lange sich was hält? Und sonst sehr intelligente Leute können bei sowas extrem dämlich sein, das seh ich auch im Bekanntenkreis. Viele Leute haben üüüüüberhaupt keine Lust, sich um Nahrungsmittel Gedanken zu machen.
Und eben genau deswegen ist es so gefährlich, den Leuten immer mehr abzunehmen. Wir verlernen das Denken, und verlassen uns nur noch auf technische Lösungen. Das kann gar nicht gut gehen.