So geht Alltagsrassismus

Enger Familienkreis. Ein Mensch, kurz vor der Rente, kleines Grundstück auf dem Dorf.

Und wie das eben so üblich ist, unterhält man sich über alles, was so im Dorf geschieht. Dort gibts Probleme mit dem Nachwuchs, das Mädel von Nachbars macht ein Auslandssemester in Brasilien, und der alte M. hat sich totgesoffen.

Tja, und es gab sogar ein paar Einbrüche in letzter Zeit. Bei Z.s wurde ein Fenster aufgehebelt, bei K.s gabs zum Glück nur Kratzspuren an der einen Tür, dort wurden die Diebe vermutlich gestört. Bei S.s wurde die Garage ausgeräumt. Was dabei auffällig war:

Es soll irgendwie nach… Zigeuner gerochen haben.

So richtig schön klassisch, wie man solche Vermutungen halt äußert. Mit kurzer Sprechpause vor „Zigeuner”. Man will ja niemanden ungerecht behandeln, aber naja… es roch halt nach Zigeuner.

Als ich die Geschichte das erste mal gehört habe, bin ich schon fuchsteufelswild geworden. Schon die Bezeichnung „Zigeuner” für eine diffuse Volksgruppe, die bekanntlich von Diebstahl lebt, ist ziemlich bösartig diskriminierend. Dazu die Annahme, dass diese Menschen Stunden später an ihrem Gestank erkannt werden können, ist einfach nur widerlich.

Aber richtig böse bin ich geworden, als der selbe Mensch diese Geschichte zwei Wochen später in einem anderen Kreis wiederholt hat. Nichts gelernt. Von all meinem Schimpfen und meinen Argumenten ist nichts hängengeblieben. Dass es in manchen Dörfern in meiner Heimat aus Unwissenheit häufig einen relativ schmal gefassten Tellerrand gibt – geschenkt. Aber zwischen nicht-wissen und nicht-wissen-wollen gibt es einen gewaltigen Unterschied. Und das von jemandem in meiner Familie!

Ich begreife einfach nicht, wie so viele Leute in diesem Land so ignorant den Fakten gegenüber sein können, und so unmenschlich und hässlich anderen Menschen gegenüber.

Und wenn wir richtig fies sein wollen, könnten wir einen gedanklichen Bogen schlagen in die Zeit irgendwo zwischen 1933 und 1945. Wie kann es sein, dass damals nach Kriegsende so viele nichts gewusst haben wollten? Wie hatte es nur so weit kommen können?

Ich hab da leider so eine Ahnung…

6 Antworten zu “So geht Alltagsrassismus”

  1. Fjonka

    Oh, Mist! 🙁
    Es wird eh alles enger hier, derzeit. Langsam glaube ich auch an die lange geradezu heraufbeschworene „kippende Stimmung“, obwohl der Vorfall, den Du beschreibst ja nicht konkret gegen Flüchtlinge geht, habe ich den Eindruck, es wird insgesamt vieles über einen kamm geschoren.
    Gestern zwei Meldungen im Radio: von einem rheinischen Ort, der den Karnevalsumzug abgesagt hat „weil man nicht ausschließen könne, daß Flüchtlinge dorthin kämen“. Und von einem bayrischen(?) Ort, der sämtlichen(!) Flüchtlingen Hausverbot im Schwimmbad erteilt hat, weil es Beschwerden über anzügliche Bemerkungen Frauen gegenüber gegeben habe.

    Antworten
    • Fup

      Oh ja, von kippender Stimmung brauchst du mir nichts erzählen, ich erlebe das ja hier hautnah in Dresden. Und ja, die Geschichte dreht sich nicht konkret gegen Flüchtlinge, aber das sind sicher Vorurteile, die jetzt besonders durch die aufgeheizte Stimmung hervorbrechen. Ich weiß wirklich nicht, wohin das alles noch führen wird.

      Antworten
        • Fup

          Damit hast du es perfekt auf den Punkt gebracht. 🙂
          Dresden ist eine wundervolle Stadt, viel Grün, viele schöne Ecken. Es gibt alles, was man sich von einer Großstadt wünschen kann und gleichzeitig ist Dresden noch klein genug, um nicht ständig als enge, stinkende Großstadt wahrgenommen zu werden. Ich finds hier wesentlich schöner als z.B. Berlin oder Düsseldorf.
          Bis auf den Schandfleck „brauner Sumpf“. Das geht seit Jahren schon so, rund um den 13. Februar. Tja, und seit einem Jahr blüht jetzt zusätzlich ausgerechnet hier Pegida. Sicherlich sind nicht alle Nazis dort, aber wer zu den Hetzveranstaltungen von Rassisten und Arschlöchern geht, muss sich selbst auch so bezeichnen lassen. Der allgemeine europäische Rechtsruck ist hier manchmal deutlich zu spüren.

          Antworten
  2. Bernd

    Beim Lesen dieses Artikels schlagen zwei Herzen in meiner Brust.

    Wenn es um das Thema Verurteilung geht, dann sprichst du mir aus dem Herzen. Schnell mal ein Klischeebild bedient ist bequem und bewahrt vor dem selbständigen Denken. Die Stimmung heizt sich weiter hoch und in der Gemeinschaft lässt es sich wunderbar hetzen. Das verleiht Machtgefühl und betäubt das eigene seelische Elend.

    Dass dir dabei auch mal der Kragen platzt, ist nachvollziehbar und gleichzeitig totaler Mist.

    Zitat: „Von all meinem Schimpfen und meinen Argumenten ist nichts hängengeblieben.“

    Ich glaube ganz im Gegenteil, dass sehr viel hängen geblieben ist. Der Mann hat sich gemerkt, dass du ihn beschimpft hast. Glaubst du wirklich, du kannst ihn bekehren, indem du ihm deine Argumente um die Ohren haust?
    Frage: Hast du öffentlich geschimpft? Wenn es so ist, dann muss er zusätzlich noch sein Gesicht wahren.

    Willst du jemanden inspirieren, seine Denkmuster kritisch zu hinterfragen, dann geht es nur in folgenden Schritten:

    – biete ihm einen Platz an deiner Seite an
    – signalisiere ihm, dass du seine Persönlichkeit respektierst
    – respektiere ehrlich, dass er eine Meinung vertritt, die mit deiner nicht übereinstimmt
    – sage ehrlich, dass es dir dabei schlecht geht und du trotzdem bereit bist, ihm zuzuhören
    – frage, was er braucht, um deinen Argumenten (ehrliche) Aufmerksamkeit zu schenken
    – sprich mit ihm in gemäßigtem Ton und höre immer wieder zu, auch wenn es schwer fällt

    Beharrt er danach immer noch auf seine Meinung, dann kannst du nur gehen.

    Bedenke einen Leitsatz:

    Du kannst nichts tun, einen Menschen zu verändern. Du kannst dich nur selber ändern, nach den Maßstäben, die für dich wichtig sind.

    Aus meiner Sicht geht die größte Gefahr nicht von den Terroristen, Pegida, fragwürdigen Handlungen der Politik oder den Flüchtlingen aus. Wir selbst schüren die Gefahr, indem wir unsere Sichtweisen in verbale Baseball-Schläger verwandeln. Jede Seite konzentriert sich darauf, immer mehr Argumente anzuhäufen.
    Statt zuzuhören, schlagen wir uns die Rechtfertigungen um die Ohren.

    Dabei will ich nicht in Frage stellen, dass es zu viele Dumpfbacken gibt, die zum normalen Denken einfach zu dämlich sind. Doch die erreichst du sowieso niemals. In diesem Fall kannst du wirklich nur aufstehen und gehen.

    Dies ist nicht die erste Stelle, an der ich mich zum Thema Kommunikation äußere. Manchmal könnte ich schier verzweifeln, wie sich die Menschen gegenseitig hochheizen und damit selber zur Negativspirale beitragen.

    Noch einmal meine Bestätigung, dass ich deine Gefühlsaufwallung verstehe. Dies betrifft auch die Blogbeiträge, die ich bisher von dir gelesen habe.

    Nur will ich zum Abschluss die Frage in den Diskussionsraum stellen:
    Wollen wir die Welt verändern oder wollen wir uns an unserer Meinung berauschen?

    Da ich davon ausgehe, dass du ebenso wie ich etwas bewegen willst, dann erlaube ich mir eine Buchempfehlung:
    Rosenberg, Gewaltfreie Kommunikation.
    Dieses Buch half auch mir, neue und vor allem wirkungsvolle Wege zu finden, Menschen zum Nachdenken zu bewegen.

    Viele Grüße

    Bernd

    P.S. Wenn ich mir mein Dresden ansehe, stehen mir manchmal die Tränen in den Augen.
    P.P.S. Trotzdem liebe ich diese Stadt!

    Antworten
    • Fup

      Mensch Bernd, schön, dass du dich auch mal hier her verirrt hast. 🙂

      Danke für deinen Kommentar. Ich weiß schon, nur mit laut werden erreicht man gar nichts. Ich gebe mir eigentlich immer Mühe, verständnisvoll zu argumentieren. Dass ich wirklich mal laut werde, passiert nicht so oft – nur wie in diesem Fall, wo so scheinbar gar nichts hängengeblieben ist. Gerade von Menschen, wo ich sonst eigentlich wesentlich mehr Mitgefühl gewöhnt bin.

      Das Buch werde ich mir mal zu Gemüte führen, habs eben in der Bibliothek vormerken lassen.

      Antworten

Antworten

  • (wird nicht veröffentlicht)